Der Edelstein
In einer kleinen Stadt, eingebettet zwischen sanften Hügeln und grünen Berggipfeln, thronte ein altes Schloss aus hellem Sandstein. Dort lebten der junge Prinz Alarian und seine schöne Prinzessin Lysandra. Ihre Ländereien waren weit, ihre Bankette rauschend, und in ihren Schatzkammern funkelten Edelsteine in allen Farben des Regenbogens – Rubine, Saphire, Smaragde und Diamanten, so zahlreich, dass selbst die Schatzwächter längst aufgehört hatten zu zählen.
Man hätte meinen können, ihr Glück sei vollkommen – doch nicht alles, was glänzt, ist auch von Wert. Denn während sie sich in seidene Gewänder kleideten und von einem Fest zum nächsten zogen, lebte nur wenige Straßen entfernt ein Kaufmann namens Sinofred.
Sinofred war ein rechtschaffener Mann mit klarem Blick. Er führte das Hospital der Stadt, kümmerte sich um Ärzte, Patienten und Arme, war gerecht im Handeln und freundlich im Ton. Und wenn die Sonne unterging, eilte er nicht etwa nach Hause, sondern in den Rat der Stadt, um über neue Brunnen, sichere Pflastersteine oder das nächste Erntedankfest zu beraten.
Sein Heim war einfach, doch voller Wärme – nicht zuletzt wegen seiner Frau Elira, deren Lachen heller klang als jede Glocke der Stadt. Es war dieses Lachen, das Sinofred an langen, aufzehrenden Tagen Kraft gab. Und doch – manchmal, wenn der Abend kam, seufzte er leise:
„Ach, nur für einen einzigen Tag wie ein Prinz leben…“
Doch im Schloss änderte sich das Leben. Prinzessin Lysandra liebte den Prunk bald mehr als den Prinzen. Sie ließ sich Kleider aus fernen Ländern bringen, in den Schlossgarten goldene Mosaike legen und veranstaltete Feste bis zum Morgengrauen. Der Prinz versuchte, es ihr recht zu machen, doch bald waren die Schatzkammern leer. Die Edelsteine verschwanden - einer nach dem anderen – bis nur noch kalter Stein blieb. Und als auch das letzte Fest verklungen war, verschwand Lysandra so lautlos, wie sie einst gekommen war.
Der Prinz blieb zurück – einsam, erschöpft und um viele Illusionen ärmer.
Eines Morgens begegnete Sinofred ihm am Brunnen der Stadt. Der Prinz, in abgetragenem Gewand, nickte ihm stumm zu. Seine Augen, einst voll Stolz, blickten nun mit stiller Demut.
Sinofred aber – statt sich über das Schicksal des Fürsten zu freuen – senkte nur leicht den Kopf und sprach:
„Es ist wohl nicht der Glanz der Steine, der einen Menschen reich macht.“
Am Abend kehrte Sinofred nach Hause zurück. Elira saß am Herd, rührte in einem dampfenden Topf Suppe und sang ein altes Lied aus ihrer Kindheit. Er blieb einen Moment in der Tür stehen, sah sie an – und etwas in seinem Herzen wurde still und weit.
Dann trat er zu ihr, nahm ihre Hand, küsste sie sanft auf die Stirn und sagte leise:
„Weißt du, Elira … du bist mein Edelstein.“
Und von diesem Tag an nannte er sie so – nicht aus Gewohnheit, sondern aus tiefstem, ehrlichem Herzen.
Zu diesem Märchen findest Du den passenden Song auf dem Album Edelstein von Kahl P , das auf allen bekannten Plattformen verfügbar ist - hier der Link zu Youtube